Dies ist der zweite Band von Linguistik online, der dem Thema "Sprache und Geschlecht" gewidmet ist. Er enthält Beiträge auf Deutsch, Englisch und Französisch, die einen weiten Bereich unterschiedlicher Themen umfassen: Sprachsysteme und ihr gegenseitiger Einfluss, Beschreibungen und Empfehlungen von Sprache, Genus und Geschlecht in den Grammatiken verschiedener historischer Epochen, sowie empirische Untersuchungen zum Sprachgebrauch in deutschen und Schweizer Zeitungen.
In seinem Beitrag " Sexism, English and Yoruba" thematisiert Yisa Kehinde Yusuf (Botswana) einen Aspekt, der bisher selten in Betracht gezogen wurde: der Einfluss des Genussystems einer Sprache auf eine andere. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Standardenglisch und Yoruba sich im Hinblick aus sexistische sprachliche Erscheinungen gegenseitig verstärken. Interessanterweise ist dies beim Pidgin-Englisch, das sich beim Aufeinandertreffen der beiden Sprachen entwickelt hat und das in derselben Region gesprochen wird, nicht der Fall; hier scheint der Transfer zugleich die Sexismen eliminiert zu haben.
Auch wenn man Übersetzungen gewöhnlich nicht als ein Mittel ansehen mag, mit dem Einfluss von einer Sprache auf eine andere ausgeübt wird, ist auch hier dennoch ein Konzepttransfer zu beobachten. Dieser Transfer unterschiedlicher Geschlechterkonzeptionen und -konnotationen von einer Sprache in die andere, ihr Einfluss auf den Übersetzungsprozess und auf die Lesenden in der Zielsprache ist das Thema von Uwe Kjær Nissens (Dänemark) Beitrag"Aspects of translating gender".
Sylvie Durrers (Lausanne) Aufsatz über " Les femmes et le langage selon Charles Bally: "des moments de décevante inadvertance"? führt zu den französischen Grammatikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sie zeigt, dass Charles Bally keineswegs der einzige unter ihnen war, der sich Fragen zum Verhältnis zwischen Frauen, dem femininem Genus und der Sprache stellte. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Ursula Doleschal (Klagenfurt); sie untersucht deutsche (und einige wenige englische) Grammatiken und Sprachempfehlungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.
Der letzte Zweierblock umfasst empirische Untersuchungen zum Sprachgebrauch in Schweizer und deutschen Tageszeitungen. Melanie Greve, Marion Iding and Bärbel Schmusch (Osnabrück) haben in der ersten umfassenden Untersuchung dieser Art 11369 Stellenanzeigen aus vier überregionalen und fünf regionalen deutschen Zeitungen sowie zwei Fachzeitschriften ausgewertet. Dabei wollten die Autorinnen einerseits feststellen, ob sprachliche Diskriminierungen zu beobachten sind und andererseits, wenn dies nicht der Fall ist, wie das sprachlich ja oft nicht ganz einfach zu lösende Problem, Männer und Frauen gleichermaßen einzubeziehen, im Einzelnen gelöst worden ist.
In ihrem Beitrag "Ehefrau Vroni flüstert ihm ins Ohr... Untersuchung zur geschlechtergerechten Sprache und zur Darstellung von Frauen in Deutschschweizer Tageszeitungen" hat Regula Bühlmann (Bern) sechs zufällig gewählte Artikel aus drei deutschsprachigen Schweizer Tageszeitungen auf sprachliche Diskriminierungen hin untersucht. Sie kann zeigen, dass es zwar keinen offenen Sexismus mehr gibt, dass aber entsprechende Konzepte nach wie vor unbewusst mitschwingen und sich auch sprachlich manifestieren.